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Die Renaissance des Notizbuchs

Hightech-Spezialisten und Geeks finden zurück zum Notizbuch: Vom Nutzen handschriftlicher Gedankenstützen.

 

«Ich benutze ein kleines (9 mal 14cm) Moleskine-Notizbuch, das ich leicht mitnehmen kann, wenn es unbequem wäre, ein grösseres Buch herumzuschleppen ... Moleskines sind ausserordentlich praktisch. Sie passen exakt in die Gesässtasche eines Paar Levi's. Ihr zähes Einbandmaterial steckt nicht nur Misshandlungen weg, sondern gewinnt an Charakter durch die Schläge und Kratzer. Das Leinen-Lesezeichen ist unverzichtbar, und die Ticket-Tasche auf der Umschlag-Innenseite wird zum Aufbewahrungsort vieler Schätze.»

Paul Saffo

«Ein "b" am Rand eines Eintrags markiert Ideen, die einen Beitrag in meinem Blog wert wären. Ein kleiner Kreis bedeutet "zu erledigen"; ein "x" bedeutet "erledigt". Und mehrere grössere Kreise um einen kleinen Kreis bedeuten "sollte endlich erledigt werden!"»

Stan James

Es gibt gute Gründe (und sehr schöne Produkte ), auch im digitalen Zeitalter immer ein kleines Notizbuch mit sich herumzutragen. Vorteilhaft ist die chronologische Folge aller Notizen (wir denken zeitliniear, und wir suchen entsprechend), die leichte Archivierbarkeit und nicht zu vergessen das angenehme Gefühl, wichtige Dinge schwarz (oder blau oder koloriert) auf weiß zu haben.

Wer mich von diesem Anachronismus überzeugt hat? Der berühmteste Zukunftsforscher des Silicon Valley, Paul Saffo.

 

Der Reihe nach. Ich hasse meine Handschrift. Sie ist hässlich, und wenn es eilt (und wann tut's das nicht, wenn ich was notiere), mutieren die ungelenken Haken häufig zu einem Gekritzel, das ich später kaum mehr lesen kann. Deshalb war ich glücklich, als vor rund 15 Jahren der erste Palm-Personal-Computer auf den Markt kam: Fortan, dachte ich, werd ich alles digital notieren.

Denkste. Wenn ich heute mein Treo-Smartphone am Ohr hab, suche ich so verzweifelt wie alle andern nach Papier und Stift, wenn ich etwas wichtiges höre. Selbst zu Hause am Arbeitsplatz, bewehrt mit einem Telefon-Headset für längere Recherchegespräche, kritzle ich Stichwörter lieber auf die herumliegenden Zettel, als dass ich meinen Gesprächspartner mit dem Tastaturgeklapper nerve.

Entsprechend mühsam gestaltet sich später die Suche nach Terminnotizen, Namen und Passwörtern. Die kreuz und quer beschriebenen losen Seiten fristen ein endloses Dasein auf meinem Pult, weil ich es nicht wage, sie wegzuwerfen - in irgendeiner Ecke steht garantiert etwas Unverzichtbares, was ich noch nicht in meine definitive Passwort-Ablage eingetragen habe.

Im Herbst letzten Jahres habe ich im Silicon Valley Paul Saffo getroffen, den wohl bekanntesten Zukunftsprognostiker der Hightech-Szene. Wir saßen in einem Starbucks (dessen Lage ich ihm geheimzuhalten versprechen musste, weil "die Venture-Capitalists es noch nicht entdeckt haben und man deshalb hier in Ruhe reden kann") und zückten unsere Geräte: Audio-Recorder, Cellphones - und er zog ein kleines, schwarzes Notizbuch und einen Tuschefüller hervor.

Guter Einstiegspunkt, dachte ich: Wie kann ein Vordenker des digitalen Zeitalters mit sowas operieren? Paul ließ mich einen Blick in sein Moleskine werfen, und ich verstand sofort.

Der Mann schreibt hier nicht nur Telefonnummern rein, sondern beginnt im Flugzeug auch mal ein ganzes Essay; Besprechungen mit Ingenieuren schlagen sich in feinen Grafiken und Flussdiagrammen nieder; und zwischendrin finden sich immer wieder Zeichnungen von Landschaften oder Straßenszenen - manches davon (nachträglich) mit Aquarell koloriert.

"Probier das mal auf Deinem Smartphone." Stimmt, zeichnen möchte ich nicht auf dem Treo. Aber wie, um alles in der Welt, lässt sich diese Fülle von Information und künstlerischem Wert organisieren? "Wenn eins voll ist, kommt's ins Archiv und wird von einem neuen abgelöst. Die Chronologie ist das beste Ablagesystem, weil wir meist noch ungefähr wissen, wann wir etwas niedergeschrieben haben."

Saffo ist berühmt für seine Notizbücher. Außerdem macht er einen ausgesprochen ungestressten und glücklichen Eindruck, und ich war sofort bereit, das mit den kleinen schwarzen Büchlein (einfache, effiziente Organisation) und den größeren, privaten Tagebüchern (hab ich nicht zu Gesicht gekriegt) in Zusammenhang zu bringen.

Vor ein paar Tagen dann habe ich in meinem Lieblingsbuchladen (während eines San Francisco-Besuchs keinesfalls auslassen ) zwar nicht das für eine Story gesuchte Buch, aber eine ganze Reihe diverser Moleskine-Notizbücher gefunden. Frei nach dem Motto "das bisschen, das ich lese, kann ich mir auch selber schreiben" hab ich eins davon gekauft - logischerweise das hochformatige Reporter-Umschlagblöcklein, das wir aus unzähligen Schwarzweißfilmen mit den Schlapphut-Reportern und bärbeißigen Detektiven kennen.

Als erstes ist mir der Preis aufgefallen: Bei zwölf Dollar pro Stück verstehe ich, weshalb Saffo einen Tuschefüller und eine sehr kleine Schrift benutzt. Dann sah ich den kleinen Prospekt mit der Geschichte der Moleskine: Der Name kommt vom Moleskin-Stoff, mit dem die Notizbücher früher eingebunden waren. Und der heißt so, weil er so weich und fest wie Maulwurfsfell (englisch: Moleskin) sein soll. Der ursprünglich französische Hersteller ist irgendwann in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts plötzlich vom Markt verschwunden und seit ein paar Jahren knüpft eine Mailänder Firma an die Tradition an - und das sehr erfolgreich, wie man in vielen Cafés und Hörsälen sehen kann.

Statt eines Stofflesezeichen-Bändels weist mein Reporter-Notizbuch ein Gummiband auf, das das Büchlein sowohl geschlossen halten als auch eine bestimmte Stelle markieren kann; die erwähnte Ticket-Tasche im hinteren Einband muss noch gefüllt werden, den vorderen ziert wie bei allen Moleskine-Produkten eine Art Ex-Libris mit Angaben zum Besitzer des Büchleins und zu einem allfälligen Finderlohn. Das gelbliche, ebenso zähe wie dünne Papier halte ich (schon angesichts des Preises) für säurefrei und damit archivbeständig.

Während eines langen und hoch interessanten Lunch-Gesprächs mit Stan James, dem Gründer der Social-Network-Suchmaschine Lijit aus Boulder, Colorado, der gerade in San Francisco war, habe ich mir erstmals Notizen in dem edlen Stück gemacht und dabei festgestellt, dass es wohl etwas Training braucht, um ohne eine Fläche zum Abstützen der rechten Hand in das kleine Büchlein zu schreiben.

Und dann zückte Stan sein "Leben": Auch er, ein intellektueller Mathematiker, benutzt ein Notizbuch, "allerdings eine billigere Marke". Auf dem Rücken des blauen Büchleins steht "Stans Life" geschrieben - "Ein Witz. Ich kann sagen: Ich habe meine Leben verloren oder: Hat jemand mein Leben rumliegen sehen?"

Dabei benutzt Stan, ganz ähnlich wie Saffo, sein kleines Buch nur für Alltagsnotizen. Das Tagebuch hat er vor einiger Zeit ausgelagert in ein separates Notizbuch.

Im Zuge des Gesprächs über Notizbücher verriet er mir dann auch sein System, das ähnlich funktioniert wie Saffos mit der Chronologie, wobei Stan zusätzlich Randmarkierungen zu gewissen Einträgen anbringt, etwa ein "b" für "dies bloggen" oder ein Kreis für "erledigen" (siehe Textanfang). Das erklärt auch die außergewöhnliche Qualität von Stans Blog, auf dem nicht täglich neue, dafür immer hochspannende Gedanken und Beobachtungen zur digitalen Gesellschaft zu finden sind.

Das "b", sagt Stan, habe ihm geholfen, die Themenratlosigkeit zu überwinden, wenn er endlich Zeit findet zu bloggen: "Früher habe ich mich hingesetzt und gedacht, ok, Zeit zu bloggen. Was war da gleich wieder? - Heute nehme ich das Notizbuch und blättere es durch, gucke mir die Einträge mit "b" an und entscheide mich für etwas davon, das sich spannend andenkt."

Das System ist so simpel wie effizient und lässt sich wohl beliebig erweitern. Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, mir höchstens vier solche Symbole auszudenken und fortan in meinem schwarzen Reporterbüchlein zu benutzen.

Und außerdem kaufe ich mir morgen als erstes einen Fineliner mit extrem dünner Spitze und übe Kleinstschrift.

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